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»Gehe mit dem Wind «

Die Tränen in meinen Augen verschleiern mir die Sicht. Gesenkten Hauptes schaffe ich es dennoch irgendwie geradeaus zu blicken. Ich sehe all die Steine, die mir meine Mitmenschen in den letzten Jahren vor die Füße schmissen um mich von meinem Weg abzubringen.

 

Ich blicke traurig zurück und sehe sie, die ganzen Umwege, die ich dadurch gegangen bin. Als ich mich wieder umdrehe, ragt vor mir nun ein Hügel auf, ein gigantischer Hügel aus Steinen.

 

Ich gehe in mich und frage mich:

»Was will ich? Will ich mich weiter von meinem Weg abbringen lassen? Will ich andere mein Handeln, mein Tun, mein Sein und meine Wege bestimmen lassen? Will ich so sein, wie andere Menschen mich haben möchten?«

 

Ich atme tief durch! Schließe meine Augen und hebe meinen Kopf zur Sonne empor. Die Sonnenstrahlen streichen zärtlich über mein tränenverschmiertes Gesicht und trocknen es, während die Wärme langsam in meine kalten Knochen zurückkehrt. Die eisige Kälte die ich zuvor noch gespürt hab beginnt plötzlich zu schwinden. Der Wind bauscht sich auf und treibt mich Stück für Stück an den Rand des gewaltigen Steinhügels.

 

Ich Blicke empor. Zweifel nagen in mir.

Soll ich es wagen?

Kann ich über meinen Schatten springen?

 

Der Wind streicht zärtlich um mich. Weht liebevoll durch meine Haare, gibt mir Mut und flüstert:

»Geh empor. Ich werde dich nicht fallen lassen.«

Doch noch zögere ich. Ich ringe mit mir. In mir tobt ein Kampf.

 

Mut gegen Angst - Angst gegen Mut!

 

Aber plötzlich greife ich empor und ziehe mich Stück für Stück hoch. Die Steine sind spitz, meine Fingerkuppen sind bereits voller Blut. Ich verliere den Halt. Panik erfasst mich. 

Ich Falle... 

doch der Wind bauscht sich auf. Er drückt mich an die Felswand.


Leise vernehme ich 4 Worte.

 

»Gehe mit dem Wind «

 

Also lasse ich los. Ich klammer mich nicht mehr an den Schmerz, nicht mehr an die Verluste, nicht mehr an dem, was sinnlos ist. Ich kämpfe nicht mehr um das was bereits verloren ist, sondern ich fang an zu akzeptieren. Und dann passiert es, ich werde eins, eins mit dem Wind und steige Stück für Stück empor. Endlich kommt das Ende in Sicht. Ich mobilisiere meine restlichen Kraftreserven und hieve mich empor. Oben angekommen erlaube ich es mir noch einmal einen Blick zurück zu werfen.

Einen letzten Blick auf den Weg, den ich gekommen bin. Einen letzten Blick in meine Vergangenheit.

 

Kraftlos sinke ich auf meine Knie und erlaube mir endlich all die Tränen zu weinen, die ich mir immer verboten habe. Ich weine um die Menschen die ich verlor, um die

sinnlosen Kämpfe die ich focht, ich weine darum, das ich mich immer für mein Handeln rechtfertigen musste. Zu guter Letzt weine ich um das Vertrauen das ich auf meinem steinigen Weg in mich verloren habe. Doch der Wind hüllt mich in eine liebevolle Umarmung und trocknet meine Tränen. Mit seiner Kraft stehe ich wieder auf und drehe mich um. Ich blicke nun in die Richtung, die ich gehen werde. Ich blicke in meine Zukunft. Dieser Weg ist steinig, aber dennoch erstrahlt er im puren Sonnenschein.

Ich atme tief durch.

Endlich komme ich langsam zur Ruhe. Mein Kampfgeist ist erneut entflammt und brennt stärker als er es jemals zuvor getan hat.

Ich Blicke hinab. Ich weiß, auch dieser Weg wird steinig werden, aber ich weiß auch, das ich alles schaffen kann... denn ich bin nun eins, eins mit dem Wind. Denn ab nun gehe ich mit ihm!

»Ich gehe mit dem Wind «

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Kommentare: 4
  • #1

    Steffi (Freitag, 15 Juni 2018 23:25)

    Wow.. wie schön und so nachvollziehbar für mich. Danke ... LG Steffi

  • #2

    Marcus (Freitag, 15 Juni 2018 23:55)

    Man muss stark sein; sehr stark sogar um den Panzer zu öffnen der sich um die Seele gelegt hat. Es braucht unheimlich viel Kraft und Mut das verletzlich ins uns zu zeigen. Es wollen nicht viele sehen, halten einen für schwach, wollen uns verletzen; verändern.
    Ich kann jeden Buchstaben fühlen den Du geschrieben hast und verstehe was Du meinst.
    Vielen Dank und es tut gut zu wissen das es da draußen auch noch andere Menschen gibt die ehrlich sich öffnen können.
    Daher übergeben wir uns vertrauensvoll dem Wind..

  • #3

    Inka (Sonntag, 19 Mai 2019 18:12)

    Dieser Text berührt mich sehr, da ich selber noch ganz unten am Steinhügel stehe...dabei ist eigentlich genug Rückenwind da...aber ich lasse ihn -noch- nicht zu...Vielen Dank <3

  • #4

    Julia Hroch (Donnerstag, 05 September 2019 19:20)

    Dieser Text gefällt mir noch besser. Man spürt deine Entwicklung zu einer tollen und starken Frau. Unglaublich, wie toll du aus all dem empor gestiegen bist. Eine Entwicklung wie ein Schmetterling. Bemerkens- und bewundernswert.